Wacken Open Air 2013
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Samstag

FEAR FACTORY geht gleich in die Vollen und legt mit 'Demanufacture' los. Der Sound ist erwartungsgemäß grausam, die Bass Drum viel zu matschig, die Gitarre zu dünn. Das Soundbild verändert sich aber mit 'Self Bias Resistor' zum Glück positiv, aber Burton steht wie angekettet an einer Stelle. Auch das Publikum weiß noch nicht wirklich wie es reagieren soll. Nun kommen aber 'Shock' und das mächtige 'Edgecrusher' und spätestens jetzt gibt es kein Halten mehr, die ersten Circle Pits wirbeln ordentlich Staub auf. 'The Industrialist' vom neuen Album kommt richtig fett, auch 'Powershifter' macht Laune. Der Klargesang ist allerdings nur gerade noch erträglich. 'What Will Become?' ist dann eine echte Live-Überraschung. In 'Archetype' gibt sich Burton viel Mühe den Klargesang zu meistern, das gelingt aber leider nur bedingt. Es ist aber bemerkbar, dass die FEAR FACTORY ihr Set auf shout-lastigere Songs umgestellt hat. Gut so. Eine weitere Überraschung ist 'Cyberwaste', mit 'Replica' gibt es dann den Industrial-Metal-Klassiker überhaupt auf die Ohren, 'Martyr' beendet den insgesamt doch sehr gelungenen Auftritt.

Der Platz vor der Party-Stage ist trotz nach wie vor früher Uhrzeit gut gefüllt: Party-Metal von ALESTORM steht an. Die Schotten hauen eine Schunkelhymne nach der anderen heraus (heute super: 'Wolves Of The Sea' und 'Shipwrecked') und sorgen für ein ordentliches Gelage im vorderen Teil der Meute, so richtig will der Funke allerdings nicht auf das komplette Publikum überspringen. Grund dafür ist sicher keine fehlende Freude der Musiker; insbesondere Fronter Christopher Bowes ist gut aufgelegt. So versteht er eine Anspielung auf den SABATON-Gag vom Vortag nicht, kontert jedoch dennoch lustig („Fuck beer! We drink rum!“). Vielleicht ist es der zu leise Sound (Problem bei nahezu allen Bands auf der Party-Stage) oder der Kater des Vortages, aber mehr als gefälliges Kopfnicken und Höflichkeitsapplaus ist bei vielen nicht drin. Schade, denn eigentlich war bei dieser Besucherzahl alles für eine große Sause angerichtet.

DIE APOKALYPTISCHEN REITER sind schon Stammgäste in Wacken, in gefühlt jedem zweiten Jahr treten die Spaßvögel der Metalszene auf dem Acker auf. Und so sieht man dieses Jahr am frühen Nachmittag nicht ganz so viele Fans wie in den letzten Jahren, die anwesenden Jünger lassen sich ihre Partylaune aber nicht nehmen. Die Reiter auch nicht, und da man live in diesem Metier keine Konkurrenz zu fürchten hat, wird auch der heutige Auftritt zum Triumphzug. Mit 'Komm', 'Du kleiner Wicht' und 'Der Adler' wird gleich zu Beginn klargemacht, dass DIE APOKALYPTISCHEN REITER keine Gefangenen machen. Man weiß eben, wie man die Massen bewegt. Auch Bandhits wie 'Adrenalin' oder 'Es wird schlimmer' taugen an diesem Samstag live ganz hervorragend. Ob die Band wirklich keine Gratis-Shirts verteilen darf, wie auf der Bühne verlautet wird, oder ob es nur ein Gag sein soll, kann an dieser Stelle nicht endgültig geklärt werden. Bei HEAVEN SHALL BURN gab es vor einigen Jahren nämlich einen wahrhaftigen "Security Stresstest", als beinahe jede Frau im Infield crowdsurfend gen Bühne getragen wurde, um eines der begehrten Shirts zu ergattern. So viel Action wie bei HEAVEN SHALL BURN gibt es dann bei den Weimarern nicht, trotzdem ist das Energielevel für die Uhrzeit oft am Anschlag und die Fans sehen rundum glücklich aus. Wer will sich da beklagen?

SONATA ARCTICA gibt sich bei strahlendem Sonnenschein die Ehre. Für die Uhrzeit, die Temperatur und die Konkurrenz (LAMB OF GOD auf der Black Stage) hat sich erstaunlich viel Publikum vor der Bühne eingefunden. Nach einem ausführlichen Intro starten die fünf Metaller mit 'Wildfire Part III' vom neusten Album voll durch. Sechs der insgesamt elf Songs stammen ebenfalls vom "Stones Grow Her Name"-Album aus 2012. Damit aber auch die treuen Fans etwas zu lauschen haben, geht es mit 'Black Sheep' weit zurück in die Bandvergangenheit. Der Titel vom Album "Silence" (2001) findet sich, genau wie 'Replica' und 'FullMoon', auf den 2008 neu aufgelegten Alben "Silence" und "Ecliptica" wieder und dürfte so dem Großteil der Zuhörer bestens bekannt sein. Die Mischung aus alt und neu wirkt jedenfalls. Obwohl es nach knapp der Hälfte des Gigs aus heiterem Himmel anfängt zu stürmen und regnen, bleiben die meisten tapfer auf ihren Plätzen. Die Feuershow auf der Bühne ist jetzt ein netter Kontrast zu der Sinnflut davor. Das große Finale nach ziemlich genau einer Stunde mit 'Don't Say A Word' ("Reckoning Night"), kommt dann aber doch ganz gelegen. Band und Publikum retten sich in trockene Gefilde.

Wenn Scott Ian mit seinen Männern den richtigen Sound auf die Bretter bringt, dann weiß man genau, woran man ist. Und wenn Belladonna dann noch wie ein junger Gott darüber singt, ist doch eigentlich alles in bester Ordnung, oder? Ja, so ist es. Bis auf dieses Gefühl des zu Vertrauten. Immerhin gibt ANTHRAX in der Mitte des Sets eine Doppel-Hommage an Ronnie James Dio sowie Dimebag Darrel samt Banner zum Besten, welche durchaus als gelungen bezeichnet werden darf. Das 'T.N.T'-Cover hingegen ist zwar nett, hätte jedoch nicht zwingend sein müssen. Am besten funktioniert die Truppe nämlich nach wie vor, wenn sie 'Indians', 'Caught In A Mosh' oder 'Madhouse' präsentiert.

Bereits während der "Danzig Legacy Tour" hat der Schinkengott noch einmal seinen älteren Katalog geöffnet und einige Songs aus der fernen Vergangenheit herausgekramt. Und auch die Wacken-Show DANZIGs wird als besonderes Happening angekündigt, welches der polarisierende Altmeister schließlich nach schwachem Start mit einigen aktuelleren Stücken auch anzubieten weiß. MISFITS-Kollege Doyle kommt nach 20 Minuten auf die Bühne gestürmt und segnet Klassiker wie 'Death Comes Ripping' und 'Last Caress' an den sechs Saiten ab. Ob diese erneute Reunion jedoch tatsächlich in völliger Harmonie inszeniert wurde, bleibt fraglich; Frontmann Glenn Danzig jedenfalls spart sich jeden Funken Euphorie, als er seinen geschätzten und angepinselten Muskelprotz-Kollegen auf die Bretter bittet. Die Stimmung leidet unter dieser vermeintlichen Spannung jedoch absolut nicht. Im gegenteil: Die MISFITS-Kultnummern werden systematisch abgefeiert, und als Doyle schließlich wieder verschwindet und 'Mother' lautstark an vorderster Front begleitet wird, scheint der diesmal wahrlich unterschätzte Mastermind doch noch einen Triumph zu feiern. Abgerundet wird das Ganze durch eine kleine On-Stage-Party mit allen beteiligten, die das unvermeidliche 'Die, Die My Darling' anstimmen und sich auch hier einem großen Chor sicher sein können. Abgesehen von der reduzierten Power in der Stimme des Schinkengottes sind diese 60 Minuten wesentlich mehr überzeugendes Entertainment, als man zuvor befürchtet hatte.

Zeigt die Qualitätskurve der Platten bei "Dez" Fafara mit seiner Hintermannschaft mittlerweile recht deutlich nach unten, haben sie in letzter Zeit auf den Bretter doch wieder deutlich zugelegt. Und genau so stellt sich das Bild auch heute auf dem heiligen Acker Wackens dar: DEVILDRIVER macht Laune. Ein buntes Programm des Backkatalogs bekommen hier diejenigen um die Ohren gehauen, die Bock auf eine moderne Keule haben. Leider fällt der Sound auf der Party-Stage (mal wieder) zu leise aus. Das ist schade, denn der Auftritt ist ansonsten makellos. Die Sonne lässt sich auch wieder blicken und trocknet all jene, die bei LAMB OF GOD keinen Schutz gesucht haben.

Nur zwei Stunden zuvor hatte Vincent Furnier alias ALICE COOPER völlig locker über seine Pläne mit dem "Rock Meets Classic"-Projekt geplaudert und den anwesenden Journalisten bei der Pressekonferenz reichlich Lust auf die nächstjährige Gastspielreise beschert. Doch wenn aus Vincent dann auch tatsächlich Alice wird, spricht der gute Herr auch in Wacken eine ganz andere Sprache: Die Bühnenshow wirkt zunächst noch unspektakulär, das Set scheint eine sichere Sache zu sein, und wer den Altmeister schon einmal live gesehen hat, weiß ja auch, was ihn erwartet. Und trotzdem ist es immer wieder eine Wonne anzuschauen, wie es dem charismatischen Sänger gelingt, ein bunt zusammengewürfeltes Publikum binnen kürzester Zeit in den Bann zu ziehen. Mit der risikoarmen Hausnummer 'House Of Fire' steigt die Band um die tolle Gitarristin Orianthi ins Set ein, Gassenhauer wie 'Hey Stoopid' und 'Feed My Frankenstein' folgen, und nach einer geschlagenen halben Stunde ist der Kerl seinem Headliner-Status bereits in allen Belangen gerecht geworden. Doch die große Sause soll erst noch kommen: Unverhofft, weil bei seinen Festival-Gigs nicht zwingend üblich, zieht Cooper die gesamte Bühnenshow samt elektrischem Stuhl und Guillotine durch, die verrückte Krankenschwester turnt auch wieder mit, und bei der etatmäßigen Auferstehung dürfen es sogar noch einige echte Überraschungen sein. Den Grabsteinen im Bühnenbild gibt die Band schnell ein musikalisches Gesicht; so werden JIMI HENDRIX, die BEATLES, THE WHO und THE DOORS gecovert, bevor schließlich die Überleitung ins große Finale mit 'I'm Eighteen', 'Poison' und dem unvermeidlichen Rausschmeißer 'School's Out' folgt. Am Ende stehen 90 Minuten gewaltiges Entertainment, eine auch musikalisch beeindruckende Performance. 

Es gibt wohl kaum einen Auftritt, der von den Fans und interessierten Zuhörern mit so viel Spannung erwartet wurde, wie der NIGHTWISHs. Grund dafür ist die Neubesetzung der Sängerin durch die Niederländerin Floor Jansen. Um 22:45 Uhr geht es dann auch pünktlich auf der True Metal Stage mit einem fulminanten Intro, der Titelmeldodie von Crimson Tide (Hans Zimmer), los. Ein wenig Pyro im hinteren Teil der Bühne leitet den Gesang von Floor Jansen ein und spätestens beim zweiten Song wird klar, dass die Dame ihr Handwerk beherrscht. Mit einer kräftigen Sopranstimme rockt sie zu 'I Wish I Had An Angel' die Stage und stellt bei 'She Is My Sin' vom "Wishmaster"-Album unter Beweis, dass sie dem Vergleich zu Tarja Turunen standhalten kann. Nur an wenigen Stellen bleibt ihre Stimme unter den Höhen, die Turnen auch bei Live-Auftritten spielend erreichte, im Großen und Ganzen ist das Zuhören, besonders der älteren Stücke, aber wieder ein wahrer Hörgenuss. Von diesen besagten Titeln der früheren Alben finden sich verhältnismäßig viele auf der Setlist. Gerade einmal die Hälfte der Songs sind von den beiden letzten Alben "Dark Passion Play" (2007) und "Imaginaerum" (2011). Nach 'Ghost River' wird es dann mit 'Ever Dream' auch erstmal kurzzeitig ruhiger. Diese Ruhe hält aber gerade einmal bis 'Storytime', wo Jansen zeigt, dass nicht nur eine gute Sopranistin, sondern auch eine echte Metallerin in ihr steckt. Headbangend steht sie zwischen ihren Bandkollegen und scheint sich auf der großen Bühne mehr als wohl zu fühlen. Nach zwei Liedern des aktuellen Albums, packen die Finnen ihr erstes Klassiker-Highlight aus: 'Nemo'. Das Publikum dankt es und geht ordentlich mit. Das ist auch nicht ganz unwichtig für diesen Abend, denn der Auftritt wird für eine Live-DVD mitgeschnitten.

Vorhang auf für einen wahren echten Knaller am letzten Abend des Festivals. Nicht kleckern, sondern klotzen - das gilt heute für das LINGUA MORTIS ORCHESTRA feat. RAGE. Rein quantitativ gesehen stimmt die Reihenfolge natürlich, denn hier wird ein komplettes Sinfonieorchester aufgeboten, um das neue "Klassik meets Metal"-Album von RAGE standesgemäß aufzuführen. Die meisten Zuschauer kennen das Album noch nicht, da es erst seit gestern im Laden steht, an den fantastischen Publikumsreaktionen änder das aber nichts. Der Opener 'Cleansed By Fire' wird hier ebenso episch vorgetragen wie auf Konserve, mit der großen Produktion und tollen Lightshow ist das Erlebnis dann aber doch intensiver. So scheint es auch den Muckern auf der Bühne zu gehen, sieht man über die Videoleinwände immer wieder wie der ein oder andere klassische Instrumentalist in seinen Spielpausen mit dem Kopf wackelt. Die Fans machen es nach und aus der Show wird ein denkwürdiger Headliner-Auftritt. Das zeigen RAGE und das LINGUA MORTIS ORCHESTRA auch bei den älteren Songs, denn "LMO" ist ja nicht das erste Werk in diesem Stil. So gibt es beispielsweise 'From The Cradle To The Grave' vom 1998er Album "XIII" oder 'Empty Hollow' ('Strangs To A Web') zu hören, die man auf vorherigen Live-Shows mit Orchester ja schon in diesem Gewand hören konnte. Die neuen Songs sind aber für meinen Geschmack allesamt eine Klasse besser und besonders das Schluss-Duo 'Withces' Judge' und ''Straight To Hell' verlangt dem Publikum noch einmal alles ab, der perfekte Abschluss dieses Headliner-Gigs!

Fazit: Tolle Bands stehen einem großen Rummel gegenüber; das Festival spaltet die Gemüter. Nichtsdestotrotz hatten wir wie viele andere tolle Tage mit viel Musik, guter Laune und alles in allem einem tollen Festival. Der Blick richtet sich jetzt auch schon auf 2014, denn zum 25jährigen Jubiläum möchte man mit einem imposanten Lineup glänzen. Die schlechte Nachricht: Das Festival ist bereits ausverkauft. Die gute Nachricht: Es wird demnächst die offizielle Ticket-Tauschbörse geben, in der man zum Originalpreis noch Tickets kaufen kann. See You In Wacken - Rain Or Shine!

Pro:
- u.a. RAMMSTEIN
- das Wetter
- die Stimmung auf dem Festivalgelände

Contra:
- Getränkepreise und keine PET-Flaschen im Infield erlaubt (trotz großer Hitze)
- Alkoholfreie Getränke zum Teil bereits Mittags an den Getränkeständen im In-Field ausverkauft
- Sound teilweise zu Beginn der Sets sehr schlecht

Wir danken: Holger und dem W:O:A-Team sowie allen, die unsere Arbeit unterstützt haben (you know who you are...).